Vom Außenseiter zum Sensationsmeister: Wie Werder Bremen 1965 mit Teamgeist und Abwehrstärke Fußballgeschichte schrieb.
Im Jubiläumsjahr der Stadt Bremen schrieb auch Werder Geschichte: Am 8. Mai 1965 holten die Grün-Weißen mit einem 3:0 gegen Borussia Dortmund vorzeitig zum ersten Mal die Meisterschale an den Osterdeich ein doppelter Grund zum Feiern, der Bremen sportlich und städtisch zusammenschweißte.
Historischer Hintergrund: Bremen im Jubiläumsjahr
1965 war für Bremen ein besonderes Jahr: Die Hansestadt feierte ihr tausendjähriges Bestehen und präsentierte sich mit der Ausstellung „Bremen ’65 – Schlüssel zur Welt“ als moderne, weltoffene Stadt. Gleichzeitig prägten große städtebauliche Veränderungen das Stadtbild – neue Wohngebiete entstanden, die Innenstadt entwickelte sich weiter, und mit dem Raumordnungsgesetz von 1965 wurden erstmals bundesweite Leitlinien für eine ausgewogene Stadtentwicklung gesetzt. In dieser Aufbruchsstimmung und im Zeichen des Jubiläums gelang Werder Bremen mit der ersten deutschen Meisterschaft ein sportlicher Triumph, der das Selbstbewusstsein der Stadt zusätzlich stärkte.

Die Bundesliga-Saison 1964/65: Werder als Außenseiter
Werder Bremen ging als klarer Außenseiter in die zweite Bundesliga-Saison, doch das Team überraschte alle: Mit einer neu formierten, besonders defensivstarken Mannschaft unter Trainer Willi Multhaup gelang es, den amtierenden Meister 1. FC Köln auf Distanz zu halten und am Ende sensationell die Meisterschaft zu gewinnen. Werder kassierte in 30 Spielen nur 29 Gegentore – ein Rekordwert in der damals sehr torreichen Liga – und sicherte sich mit 41:19 Punkten den Titel vor dem amtierenden Titelträger Köln und Dortmund. Die kompakte Abwehr und der Teamgeist wurden zum Erfolgsrezept des Bremer Außenseiters. So blieben die Werderaner in dieser Saison 12-mal gegentorlos.

Schlüsseltransfers und die neue Mannschaft
Zur Saison 1964/65 verstärkte sich Werder Bremen gezielt mit mehreren Schlüsselspielern, die später entscheidend zum Meistertitel beitrugen. Neu zum Team kamen unter anderem:

Horst-Dieter Höttges
(Abwehr, von Borussia Mönchengladbach)

Heinz Steinmann
(Mittelfeld, vom 1. FC Saarbrücken)

Hans Schulz
(Mittelfeld, aus der eigenen Jugend)

Klaus Matischak
(Sturm, von Schalke 04)
Diese Neuzugänge ergänzten das bestehende Gerüst um Leistungsträger wie Günter Bernard, Sepp Piontek und Pico Schütz und sorgten für eine stabile Defensive sowie mehr Flexibilität im Angriff. Trainer Willi Multhaup formte daraus eine kompakte, kampfstarke Mannschaft, die mit Teamgeist und taktischer Disziplin zur Überraschungsmannschaft der Saison wurde.
Trainer Willi Multhaup und seine Taktik

Willi Multhaup führte Werder Bremen 1965 mit innovativer Taktik zur Meisterschaft. Er setzte als einer der ersten Trainer in der Bundesliga auf die Libero-Position (mit Helmut Jagielski) und etablierte eine „Beton-Abwehr“, die in 30 Spielen nur 29 Gegentore zuließ. Multhaup bevorzugte das flexible 4-2-4-System, in dem Stürmer auch verteidigen und Verteidiger angreifen sollten – jeder Spieler musste vielseitig einsetzbar sein. Seine intensive Trainingsarbeit legte viel Wert auf Kondition, Disziplin und spielnahe Übungen mit dem Ball. Die taktische Disziplin, gepaart mit Teamgeist und einer kompakten Defensive, machte Werder für den Gegner undurchschaubar.
Die legendäre „Beton-Abwehr“
Werders „Beton-Abwehr“ der Saison 1964/65 wurde zum Markenzeichen des ersten Meistertitels: Nach 63 Gegentoren im Vorjahr formte Trainer Willi Multhaup mit den Neuzugängen Heinz Steinmann und Horst-Dieter Höttges sowie Spielern wie Sepp Piontek, Max Lorenz, „Pico“ Schütz und Helmut Jagielski eine Defensive, die nur 29 Gegentreffer in 30 Spielen zuließ – ein Rekord, der bis 1988 nur einmal unterboten wurde. Nationaltorwart Günter Bernard blieb zwölfmal ohne Gegentor. Die Abwehr agierte kompromisslos, aber stets fair und wurde von der Konkurrenz als „Bremer Beton“ bezeichnet – eine Bezeichnung, auf die die Mannschaft stolz war. Diese Stabilität war das Fundament für Werders sensationellen Titelgewinn und ist bis heute ein zentraler Teil der Vereinsgeschichte. Willi gelang es, die Anzahl der Gegentore gegenüber der Vorsaison fast zu halbieren.
Der Weg an die Tabellenspitze

Trotz Rückschlägen, wie der Auftaktniederlage gegen Kaiserslautern und einer Niederlage in Köln, ließ sich das Team nicht aus der Bahn werfen. Im Saisonverlauf übernahm Werder die Tabellenführung und verteidigte sie gegen starke Konkurrenz wie den 1. FC Köln und Borussia Dortmund. Am Ende sicherten sich die Bremer mit 41 Punkten und drei Zählern Vorsprung auf Köln den ersten Meistertitel der Vereinsgeschichte. Auf dem Weg zum Titel war es sehr bezeichnend, dass gleich fünf Werderaner ihr erstes Bundesliga-Tor für die Grün-Weißen erzielten. Jene Torschützen waren allesamt Schlüsselspieler: So schoss Klaus Matischak nicht nur das erste Saisontor von Werder, sondern auch gleichzeitig sein erstes Bundesligator für den SVW.
Im Laufe der Spielzeit feierten seine Teamkameraden Sepp Piontek, Hans Schulz, Horst-Dieter Höttges und Max Lorenz ebenfalls ihre jeweiligen Torpremieren.
Ein weiteres Markenzeichen dieser Saison waren die vier Doppel-Torschützen: Gerhard Zebrowski, Klaus Matischak, Pico Schütz und erneut Klaus Matischak. Eben dieser Klaus Matischak hat es geschafft, in zwei aufeinander folgenden Bundesliga-Partien einen Doppelpack zu erzielen.
Die oben beschriebene Beton-Abwehr schaffte es darüber hinaus, in vier Bundesligaspielen in Folge ohne Gegentor zu bleiben. Geht man dieser Serie nach, dann hat diese Abwehr in sechs Bundesliga-Spielen in Folge insgesamt nur ein Gegentor schlucken müssen.
Das entscheidende Spiel gegen Borussia Dortmund

Am 29. Spieltag der Saison 1964/65 empfing Werder Bremen Borussia Dortmund und gewann vor heimischer Kulisse souverän mit 3:0. Schon zur Halbzeit führten die Bremer mit 2:0 und legten in der zweiten Hälfte nach, womit sie sich vorzeitig die deutsche Meisterschaft sicherten. Die starke Defensive und die Effizienz im Angriff waren erneut entscheidend. Mit diesem Sieg krönte sich Werder Bremen erstmals zum deutschen Meister und schrieb Vereinsgeschichte.
Werder Bremen Meister 1965 - Meisterfeierlichkeiten in Bremen

Nach dem vorzeitigen Gewinn der Meisterschaft am 8. Mai 1965 gegen Borussia Dortmund herrschte im Weserstadion zunächst gespannte Stille, da die Zuschauer auf die Ergebnisse der anderen Stadien warteten. Erst als Stadionsprecher Richard Oßenkop das 0:0 zwischen Köln und Nürnberg verkündete, brach der Jubel mit voller Kraft aus – Werder Bremen war Deutscher Meister.
Rund 40.000 Fans feierten den historischen Erfolg gemeinsam mit der Mannschaft, die als krasser Außenseiter gestartet war.
Auch außerhalb des Stadions gab es an den folgenden Tagen Feierlichkeiten, so empfingen am Montag am Bremer Hauptbahnhof tausende Fans die Spieler trotz schlechten Wetters mit großer Begeisterung.
Der Zug mit der Meistermannschaft von Werder Bremen kam am 10. Mai 1965 zurück aus Nürnberg nach Bremen. Die Rückreise per Zug dauerte länger als geplant, weil auf den Bahnhöfen entlang der Strecke immer wieder Fans warteten, um die neuen deutschen Fußballmeister zu feiern. Der Lokführer war offenbar nervlich angespannt und verpasste bei der Einfahrt in den Bremer Hauptbahnhof den normalen Haltepunkt deutlich, sodass das offizielle Empfangskomitee im strömenden Regen etwa 100 Meter aus der Bahnhofshalle hinauslaufen musste. Danach ging es für die Mannschaft auf Pferdewagen zum Marktplatz, wo trotz schlechten Wetters die Meisterfeier stattfand.
DFB-Präsident Hermann Gösmann würdigte die Mannschaft als „Geschenk für die Stadt Bremen im Jahr ihrer 1000-Jahr-Feier“. Die Meisterschaft wurde als ein bedeutender Moment für Verein und Stadt gefeiert, der Bremen sportlich und gesellschaftlich zusammenschweißte.
Nachdem ersten offiziellen Empfang auf dem Marktplatz zog es am Dienstag 7000 Fans in die ausverkaufte Stadthalle zur Familienfeier. Hier waren nicht nur die Mannschaft mit ihren Familien anwesend, sondern auch Vertreter der Norddeutschen Bundesligavereine und Vertreter von Schalke 04 (Ernst Kuzorra) und des 1. FC Köln (Pressewart Gerhard König). Nur der HSV glänzte mit Abwesenheit. Die Schalker schenkten den Bremern eine Nachbildung der in den Nachkriegswirren alten Viktoria. Zusätzlich waren auch Bremer Vereine und Sportverbände sowie der Senat durch Frau Senator Mevissen und dem SPD-Fraktionsvorsitzenden Boljahn vertreten. Alle Dämme brachen, als die Bundeswehrkapelle zum Schluss des offiziellen Teils zum Lied „So ein Tag, so wunderschön wie heute!“ ansetzte. Hierbei hakten sich alle ein und schunkelten und sangen mit.
Nach dem offiziellen Teil ging es für 200 geladene Gäste zum Abschlussbankett in das Parkhotel. Hier wurden dann allen Spielern mit Ehefrauen sowie Herrn und Frau Multhaupt vom Vorsitzenden Alfred Ries eine goldene Armbanduhr, die mit einer Gravur versehen war, überreicht. Aber auch die Mannschaft selbst meldete sich durch Max Lorenz noch einmal zu Wort und bedankte sich beim Vorstand. Als Geschenk gab es einen Kristallaschenbecher mit Gravur und Silberrand. Für Geschäftsführer Wolff gab es einen Teller, in dem alle Namen der Spieler eingraviert waren.

Interessante Anekdoten und Geschichten von 1965

- Friseurwette in Lichtenfels: Nach dem letzten Saisonspiel in Nürnberg reiste Werder zu einem Freundschaftsspiel nach Lichtenfels, Heimat des Sponsors Karl Fleschutz. Dort ließ sich Klaus Matischak gemeinsam mit Max Lorenz vom Lichtenfelser Polizeichef kahl rasieren – ein vorher gegebenes Versprechen für den Fall der Meisterschaft. Bei der Rückkehr nach Bremen lüfteten beide auf dem Marktplatz ihre Hüte und präsentierten stolz ihre kahlen Köpfe, was für große Heiterkeit sorgte.
- Warten auf das Ergebnis: Nach dem entscheidenden 3:0 gegen Dortmund warteten Spieler und Fans ungewöhnlich lange im Stadion, weil es noch keine elektronische Anzeigetafel gab. Erst nach einem Telefonat verkündete Stadionsprecher Richard Oßenkop das 0:0 aus Köln, woraufhin der Jubel im Weserstadion losbrach.
- Feucht-fröhliche Nächte: Die zwei Tage nach dem Titelgewinn waren geprägt von ausgelassenen Feiern – so sehr, dass einige Spieler beim Freundschaftsspiel in Lichtenfels noch mit den Nachwirkungen des Alkohols zu kämpfen hatten. Helmut Schimeczek musste sich beim Auflaufen sogar übergeben.
- Heimfahrt mit Hindernissen: Bei der Rückfahrt mit dem Zug nach Bremen wurde der Meisterzug an jedem Bahnhof von feiernden Fans aufgehalten. Der Lokführer verpasste in Bremen den Haltepunkt, sodass das Empfangskomitee im strömenden Regen 100 Meter laufen musste, um die Mannschaft zu begrüßen.
- Außenseiter-Tipp: Vor der Saison glaubte kaum jemand an Werder – nur der HSV-Trainer Georg Gawliczek tippte Werder als Meister, was damals für Verwunderung sorgte. Am Ende sollte er Recht behalten.
Diese Geschichten zeigen, wie bodenständig, überraschend und herzlich der erste Meistertitel für Werder Bremen und seine Helden von 1965 war.
Die Bedeutung des Titels für Verein und Stadt
Der Meistertitel 1965 war ein historischer Meilenstein für Werder Bremen: Zum ersten Mal holte der Verein die deutsche Meisterschaft an die Weser und etablierte sich damit als feste Größe im deutschen Fußball. Für den Verein war der Triumph ein Wendepunkt – aus dem „grauen Mäuschen“ wurde ein angesehener Klub, der fortan national und später auch international beachtet wurde. Die legendäre „Beton-Abwehr“ und der Teamgeist der Außenseiter-Mannschaft prägen das Selbstverständnis des Vereins bis heute.
Für die Stadt Bremen fiel der Titelgewinn mit dem 1000-jährigen Stadtjubiläum zusammen und wurde zum Symbol für Aufbruch, Gemeinschaft und Stolz der ganzen Region. Zehntausende feierten ausgelassen am Rathaus und auf dem Marktplatz – der Erfolg schweißte Stadt und Verein eng zusammen und bleibt ein identitätsstiftender Moment in Bremens Geschichte.
Langfristige Auswirkungen auf Werder Bremen
- Aufstieg zum Spitzenklub: Der Meistertitel 1965 machte Werder Bremen erstmals bundesweit bekannt und beendete das Image des „grauen Mäuschens“ in der Bundesliga. Der Verein wurde als ernstzunehmender Konkurrent etabliert und gewann in den folgenden Jahrzehnten weitere Titel.
- Prägende Defensivtradition: Die legendäre „Beton-Abwehr“ von 1965 wurde zum Markenzeichen und Vorbild für spätere Werder-Teams. Die Bedeutung einer starken Defensive blieb Teil der Vereinsidentität und wurde von Trainern wie Otto Rehhagel immer wieder betont.
- Grundstein für kluge Transferpolitik: Die erfolgreichen Neuverpflichtungen von 1964/65 (u.a. Höttges, Steinmann, Matischak) begründeten Werders Ruf für clevere, nachhaltige Transfers – ein Prinzip, das den Verein besonders in den 1980er- und 2000er-Jahren prägte und zu weiteren Erfolgen führte.
- Stärkung der Vereins- und Stadtidentität: Der Titelgewinn fiel mit Bremens 1000-Jahr-Feier zusammen und schweißte Stadt und Verein zusammen. Die Meisterschaft wurde zu einem identitätsstiftenden Moment für Generationen von Fans und Bürgern.
- Langfristige Popularität und Fanbasis: Der sensationelle Erfolg von 1965 sorgte für einen starken Zuwachs an Sympathisanten und festigte Werders Stellung als einer der beliebtesten Vereine Norddeutschlands.
Der Titel von 1965 war somit ein Wendepunkt, der Werder Bremen sportlich, wirtschaftlich und kulturell dauerhaft prägte.
Zum Schluss möchten wir uns bei Jürgen Anders bedanken, der uns mit Material ausgeholfen hat, und wünschen euch viel Spaß beim Lesen!
Liebe Grüße
Euer Grün-Weiß Fanreport Team