Interview Fabian Ettrich

Interview Teil 1 zum Buch Werder im Nationalsozialismus

Interview mit dem Co-Autor Fabian Ettrich

Hallo, liebe User/in! Und herzlich willkommen zu einer Premiere. Endlich können wir von Grünweiß Fanreport euch unsere ersten beiden Interviews vorstellen. Vor einiger Zeit haben wir ein neues Gästebuch online gestellt, wo ihr euch bei Anregungen, Wünschen oder auch Verbesserungsvorschlägen gerne äußern könnt! Und nun möchten wir euch ein Doppelinterview präsentieren. Wir haben für euch das Buch Werder im Nationalsozialismus unter die Lupe genommen und unsere Rezension dazu schon auf unserer Website veröffentlicht. Da es uns so gut gefallen hat, haben wir zwei der Autoren zu einem Interview angefragt: Und sowohl Fabian Ettrich und Carina Knapp-Kluge haben dankenswerterweise zugesagt und sich unseren Fragen gestellt.

Inhaltsverzeichnis

Wie bist du Werderfan geworden?

Ja, lieber Tuddi, lieber Flo, vielen Dank für die Einladung zu diesem Format. Wie bin ich Werderfan geworden? Das begann bei mir mit dem Tag, als ich angefangen habe, selbst Fußball zu spielen! Es war, glaube ich, ungefähr in der E-Jugend, da hatten mich meine Eltern überredet, bei uns im örtlichen Fußballverein, mal beim Training vorbeizuschauen. Und ich war davon noch nicht angetan! Das erste Training lief nicht so gut, da alle anderen Mitspieler schon zwei bis drei Jahre dabei waren und dadurch schon etwas am Ball konnten – und ich gar nichts. Selbst wenn es für mich im ersten Moment enttäuschend war, habe ich mich – sicherlich unter Zureden meiner Eltern – nicht entmutigen lassen und bin noch mal wieder hingegangen. Beim zweiten Mal war es bereits viel besser, sodass ich dabeigeblieben bin, was dazu führte, dass mein Interesse am Fußball insgesamt erblüht ist!

Danach habe ich auch die Bundesliga verfolgt. In dieser Spielzeit (1992/93) geriet ich so ein bisschen in den Zweikampf zwischen Bayern und Werder und da waren meine Sympathien sehr klar verteilt. Denn ich habe über die ganze Saison zum SVW gehalten und war am Ende total glücklich, dass sie Meister geworden sind.

Wie bist du zum Fanprojekt gekommen?

Ich selbst bin damals über die Broschüre zum ehemaligen Präsidenten Alfred Ries zu dem ganzen Projekt gestoßen. Und zwar war es so, dass es im November oder Dezember 2016 einen Aufruf im Werder Magazin gab. Es sollten Nachforschungen über den ehemaligen jüdischen Präsidenten Alfred Ries angestellt werden! Und ich bin ganz ehrlich, ich bin zwar Werderfan und auch an der Vereinsgeschichte interessiert, aber den Namen hatte ich bis dahin noch nie gehört! Und so habe ich mich beim Fanprojekt in Bremen, genauer bei Thomas Hafke, gemeldet. Ich hatte eigentlich im Sinn, ein paar Recherchen aus Osnabrück, wo ich lebe, beizusteuern und das Projekt von dort aus zu unterstützen. Dieser Plan ist allerdings nicht ganz aufgegangen. Denn Thomas Hafke hat mich daraufhin eingeladen, nach Bremen ins Fanprojekt zu kommen, dort habe ich dann die weiteren Mitstreiter der damaligen Antidiskriminierungs-AG getroffen. So bin ich dabeigeblieben und habe mich in den darauffolgenden Tagen und Monaten – und inzwischen muss man sagen auch Jahren – mit der Biografie von Alfred Ries und später obendrein mit den anderen jüdischen Werderanern beschäftigt.

Liest du auch gerne selbst und wenn ja welche Bücher bzw. welche Art?

Ich lese tatsächlich gerne selbst Bücher! Vor allen Dingen interessieren mich Biografien insbesondere aus dem Bereich der Politik, aber auch aus dem Sport. Diese Art von Literatur finde ich ungemein inspirierend, gerade wenn sie die Thematik nicht nur an der Oberfläche streifen, sondern in die Tiefe gehen. Beispielsweise, wo Menschen persönliche, schlimme Schicksale mitgemacht oder Rückschläge hingenommen haben und offen und ehrlich darüber erzählen, wie sie da rausgekommen sind! Das ist immer subjektiv, manchmal vielleicht auch die tatsächlichen Probleme und Entwicklungen kaschierend, aber ich finde es immer sehr beeindruckend, wenn damit relativ aufgeschlossen umgegangen wird, weil man daraus eine ganze Menge mitnehmen kann! Auch für den eigenen Umgang mit schwierigen Situationen! Und da gibt es ganz viele großartige Biografien im Sportbereich. Die müssen nicht immer ein Happy End haben, teilweise reicht es auch, wenn sie hintergründig oder gut geschrieben sind. Ich finde beispielweise die Sportbiografien des Autors Ronald Reng sehr lesenswert, der unter anderem die über Miroslav Klose oder Robert Enke verfasst hat.

Welche Sportbiografien kannst du noch uns empfehlen?

An guten Biografien von Sportlern kann ich Euch noch wärmstens die Biografie von Dirk Nowitzki empfehlen! Die ist deshalb so interessant, da die akribische Arbeit an sich und die Fortschritte sowie das Streben nach immer weiterer Verbesserung dort sehr gut herausgearbeitet wurde: Das bedeutet, zusätzlich zum normalen Basketballtraining noch Extraübungen zu machen: An der Wurftechnik zu feilen, die Kondition, die Stabilität und die Ernährung zu verbessern. Sprich in allen Bereichen, die man sich vorstellen kann, sich zu optimieren, um bestmögliche Ergebnisse im Sport zu erreichen. Diese enorme Weiterentwicklung und Bereitschaft, sich immer stärker zu verändern, sich zu hinterfragen, sich zu quälen, an seinen Stärken zu arbeiten, seine Schwächen zu minimieren, seine Wurfabläufe bis ins Kleinste zu analysieren und infrage zu stellen, dazu auseinanderzunehmen und wieder zusammenzusetzen. Das ist wahnsinnig beeindruckend gewesen und sicherlich ein Geheimrezept für die erfolgreiche Karriere von Dirk Nowitzki. Da ist mit Sicherheit für jeden Sportler etwas drin, was er für sich mitnehmen kann, selbst für den Breitensportbereich. Das Buch beinhaltet nicht nur wertvolle Tipps für den Sport, sondern für das gesamte Leben, sprich für Privates und Beruf. Sehr ambitioniert an seinen Zielen zu arbeiten, um sie auch erreichen zu können!

Was hast du von Beruf gelernt?

Ich bin aufgewachsen an der Ostsee in Schleswig-Holstein. Nach dem Besuch von Grund- und Realschule habe ich dort das Abitur nachgemacht mit dem Schwerpunkt „Wirtschaftstheorie und Politik.“ Im Anschluss studierte ich in Osnabrück (Niedersachsen) Politikwissenschaften und Geschichte.

Es ist schwer vorzustellen, aber ich frage dennoch: Welche Hobbys hast du noch außer Werder?

Ja, was sind außer Werder meine Hobbys? Die haben auch mit Werder zu tun. Also Fußball begeistert mich grundsätzlich, deshalb spiele ich auch nach wie vor selbst. Ich versuche es zu mindestens ein- bis zweimal die Woche hinzubekommen. Inzwischen auf noch geringerem Niveau. Darüber hinaus interessiere ich mich für den Ausdauersport und hier besonders fürs Laufen in der Natur und das auf verschiedene Distanzen. Dies hat seit Corona noch mal zugenommen. Wie schon oben erwähnt, lese ich gerne und verbringe viel Zeit mit Freunden, inspirierenden Menschen und der Familie. Des Weiteren liebe ich es, zu reisen und neue Orte zu erkunden. Begeistert hat mich hierbei besonders die Vielfalt hier in Deutschland, aber auch die USA.

Hattest du den Wunsch, Profifußballer zu werden?

Gerade was das Talent sowie die Spielübersicht angeht, hat es bei mir hinten und vorne für den Profifußball nicht gereicht! Da wäre so viel Luft nach oben gewesen, dass es leider völlig illusorisch gewesen wäre – zumal ich im Jugendbereich schon bereits etwas höher spielen konnte und dabei klar die Grenzen aufgezeigt bekommen hatte. Insofern weiß ich gar nicht, ob ich dazu Lust gehabt hätte, in den Profifußball reinzuschnuppern, weil man dort eben auch schon so viel Zeit investieren muss, die in anderen Bereichen dann gefehlt hätte. Sprich im privaten Bereich oder was die berufliche Entwicklung angeht, von daher wäre das schon sehr schwierig gewesen, aber sicherlich ganz verlockend! Vor 20 – 30 Jahren wäre es nochmal interessanter gewesen, Stichwort: öffentlichen „Brennglas“, weil es mehr Freiraum gegeben hätte. Heutzutage ist das Ganze schon deutlich professioneller geworden, was die Leistungsdiagnostik oder die Ernährungskonzepte angeht. Diese Aspekte spielten früher keine so große Rolle.

Hättest du Reise oder Ausflugstipps für uns?

Es gibt ganz viele interessante Ausflugsziele in Niedersachsen oder in meinem Umfeld in der Gegend Osnabrück, wie beispielweisen einige Seen. Insbesondere kann ich Euch hier in der Region den Dümmer See (an der Grenze zum Landkreis Diepholz) oder den „Canyon“ in Lengerich (Westfalen) empfehlen. Dort kann man kristallblaues Wasser sehen und hat rund herum einen schönen See zum Wandern. Von Osnabrück lässt er sich gut mit dem Fahrrad erreichen. Ansonsten finde ich die Ostseeküste, also meine Heimatregion, sehr schön! I Dort ist beispielsweise die Steilküste am Weißenhäuser Strand mit einem Waldstück bis dicht ans Wasser zu empfehlen. Diese ist sehr ruhig und abgelegen einfach ein Ort, wo man ein bisschen die Sinne entfalten lassen und etwas Abstand vom Alltag finden kann.

In den Vereinigten Staaten von Amerika hat mich besonders die Vielfalt des Landes begeistert, angefangen von den großen Städten bis hin zu den Kulturlandschaften der Nationalparks. Insbesondere denn Bryce Canyon kann ich dort aufgrund seiner Farbenvielfalt empfehlen. Das zu sehen war wirklich für mich sehr beeindruckend! Ansonsten finde ich in Florida die Westküste rund um Tampa und Clearwater, oder Saint Petersburg wunderschön. Dort gibt es schöne Strände, Delfine in freier Wildbahn und einen Sonnenuntergang, bei dem man die Sonne im wunderschönen Abendlicht im Meer untergehen sehen kann.

War dies dein erstes Buch, an dem du mitgewirkt hast?

Das Buch „Werder im Nationalsozialismus“ war das erste Buch, an dem ich als Autor intensiver mitgewirkt habe. Ansonsten waren es bisher nur kleinere Aufsätze.

Wie seid ihr auf das Thema Werder im Nationalsozialismus gekommen?

Auf das Buch und den Titel „Werder im Nationalsozialismus“ sind wir gekommen, da einige Fans 2016 das Grab von Alfred Ries auf dem jüdischen Friedhof wiederentdeckt haben: Vera und Dirk Harms. Sie haben anschließend den damaligen Leiter des Bremer Fanprojektes, Thomas Hafke, angesprochen, ob nicht über Alfred Ries ein bisschen intensiver geforscht werden könnte. Daraus entstand unter anderen eine Arbeitsgruppe, an der Du, lieber Tuddi, auch aktiv mitgewirkt hast. In diesem Zusammenhang habt Ihr eine tolle Ausstellung im Ostkurvensaal auf die Beine gestellt. Hierbei handelte es sich um eine Fotoausstellung mit Bildern aus dem Nachlass der Witwe von Alfred Ries, die zu dem Zeitpunkt noch Mitte 90-jährig in Wiesbaden gelebt hatte. Mitglieder der AG hatten Hilde Ries zuvor besucht und ganz interessante Fotos aus ihrem Bestand mit nach Bremen gebracht. Diese Ausstellung hatte eine gute Resonanz gefunden. Mit weiteren Fans ist zudem eine Broschüre über Alfred Ries entwickelt worden, die 2017 zu seinem 50. Todestag bzw. 120. Geburtstag veröffentlicht wurde.

Dieses Heft war im Grunde die Initialzündung dazu, noch mal – auf Betreiben von Thomas Hafke – weiter auf Spurensuche zu gehen und sich die Biografien weiterer jüdischer oder als von den Nationalsozialisten als sogenannte „Halbjuden“ bezeichneter Menschen vorzunehmen. Und wir hatten dann das Glück gehabt, dass durch eine Rezension unserer Broschüre in der Fußballzeitschrift „11 Freunde“ Lukas Bracht, der selbst ein Werderfan ist, auf uns aufmerksam wurde. Lukas Bracht hatte auch schon zu dem Thema Werder im Nationalsozialismus seine Bachelor- und begleitend auch seine Masterarbeit verfasst. Ihn konnten wir dann für das Überblickskapitel in dem Buch gewinnen. Auch aus der Gruppe, die damals bereits die Broschüre aufgelegt hatte, sind einige mit dabeigeblieben, zum Beispiel Thomas Hafke, als Initiator des Ganzen oder Dirk Harms. Zusätzlich haben wir weitere Mitstreiter gewinnen können, etwa Dr. Sabine Pamperrien, eine Autorin aus dem Bremer Raum, die schon erfolgreiche Sachbücher verfasst hat und durch einen kritischen Beitrag zu Alfred Ries bei „buten un binnen“ 2020 auf uns aufmerksam wurde, Dr. Marcus Meyer, der wissenschaftliche Co-Leiter vom Gedenkort Bunker Valentin in Bremen, der durch seine Recherchen über ein dort inhaftiertes Werder-Mitglied zu dem Thema gekommen ist, und Carina Knapp Kluge, die bereits sehr intensiv an jüdischen Biografien in den letzten Jahren geforscht hat und sich insgesamt sehr gut in der Werder-Geschichte auskennt – nicht nur, was die Zeit zwischen 1933 und 1945 betrifft. So haben wir eine Gruppe gefunden, die Lust hatte, an dem Thema noch ein bisschen intensiver zu arbeiten.

Auch konnten wir auf die guten Vorarbeiten aufbauen, die in den letzten Jahrzehnten bei Werder schon gelaufen sind, exemplarisch sei hier vorgehoben, die 90-Jahre-Chronik von Hans-Joachim Wallenhorst und Harald Klingebiel, die ganz viele Dinge schon geschrieben haben. In dieser Vereinschronik kamen die Entwicklung des Vereins und schon einige jüdische Mitglieder zur Sprache. Diese Vorarbeiten waren ein Orientierungspunkt, an dem wir dann ansetzen und unsere Arbeiten für das Buch in den letzten Jahren intensivieren konnten.

Wie ist der Kontakt zwischen den einzelnen Autoren entstanden und wie lange hat das Projekt insgesamt gedauert?

Die Idee zu so einem Buch hatte Thomas Hafke 2017. Nach der Veröffentlichung der Broschüre gingen in jenem Jahr ein paar Monate ins Land. 2018 müsste es schätzungsweise gewesen sein, als sich dann eine Gruppe fand, die sich mit der Zeit immer erweiterte und somit hatten wir irgendwann mehrere Autorinnen und Autoren beziehungsweise Schultern zusammen, um so ein Projekt ehrenamtlich zu stemmen. So dauerte es von der Idee bis zur tatsächlichen Umsetzung mit einem Verlag ungefähr vier Jahre (2018 – Anfang 2022). Der Kontakt zum Verlag („Die Werkstatt“) entstand relativ früh, aber von einer losen Idee über eine grobe Struktur bis zu den konkreten Buchbeiträgen, die auch enger zueinander passten, war es dann noch ein weiter Weg. Leider kam noch die Corona Pandemie hinzu, die verhindert hat, dass wir uns persönlich weiterhin laufend treffen konnten.

Somit haben wir auch viel digital gemacht. Aber tatsächlich würde ich schon sagen, dass wir fast vier Jahre an dem Projekt gearbeitet haben. Dieses war obendrein der Tatsache geschuldet, dass es hierbei für mehrere der Autoren und Autorinnen das erste Buchprojekt war. Dadurch konnten und mussten wir viel lernen.

Wie habt ihr euch die einzelnen Themenbereiche eingeteilt, bzw. wer hat welchen Themenbereich übernommen?

Die Aufteilung der einzelnen Kapitel lag teilweise auf der Hand und war andererseits das Ergebnis von Absprachen. Bei Lukas Bracht war es beispielsweise sehr naheliegend, da er sich ja schon während des Studiums mit den strukturellen Veränderungen von Werder Bremen zwischen der Weimarer Republik und der Bundesrepublik beschäftigt hat, dass er die Überblicksarbeit zu „Werder im Nationalsozialismus“ übernimmt.

Ebenso naheliegend war es auch bei Marcus Meyer als Mitarbeiter des Gedenkortes „Bunker Valentin“, dass er sich den dortigen Arbeitshäftling Theodor Eggert vornimmt. Und bei Carina Knapp-Kluge, die sehr interessiert an der Vereinsgeschichte ist und sehr viel über die Vereinshistorie weiß, lag es irgendwann auf der Hand, dass sie sich ganz gut Hansi Wolff vornehmen könnte, der über viele Jahrzehnte die Geschicke des Vereins maßgeblich geleitet hat, bis er von Rudi Assauer als Manager abgelöst wurde. Dirk Harms als Jurist hatte auch schon an der Broschüre über Alfred Ries mitgewirkt und insofern war es auch vor dem Hintergrund seiner Ausbildung und seiner beruflichen Laufbahn naheliegend, dass er sich die juristischen Änderungen im Wiedergutmachungsrecht vornimmt und diese am Beispiel von Alfred Ries einmal durchgeht.

Da Sabine Pamperrien damals über den Vorwurf bei „buten un binnen“, wo Alfred Ries indirekt eine Spionage-Tätigkeit unterstellt wurde (zumindest wurde es suggeriert), empört war, setzte sie sich sehr intensiv mit dem Rettungswiderstand der Bremer Abwehr, also der Auslandsspionage-Organisation der Nationalsozialisten, auseinander, und konnte so weitere Hinweise beitragen, die die These der Kollaboration von Ries mit dem NS-Regime, die lange subtil aufrechterhalten wurde, extrem unwahrscheinlich machen bzw. sie als nahezu widerlegt betrachten lassen.

Darüber hinaus haben sich Thomas Hafke und dann auch Lukas Bracht Werder-Mitglied Leo Weinstein vorgenommen. Lukas Bracht hat es dann sogar geschafft, über einen Freund von Leo Weinstein in den USA die unveröffentlichten Memoiren Weinsteins zu erhalten. Diese hat er anschließend exklusiv für seinen Beitrag ausgewertet hat, was das Buch gerade an dieser Stelle sehr stark aufgewertet hat.

Mit Hugo Grünberg haben wir außerdem einen jüdischen Schiedsrichter beschrieben, der mit seiner Frau und weiteren Familienmitgliedern deportiert und in Minsk ermordet wurde. Sammelpunkt für diesen Transport in den Tod war ein Bremer Ort, der heute Pausenhof einer Schule ist.

Und dann gab es noch die jüdische Familie Rosenthal, die direkt gegenüber des Weserstadions am Osterdeich/Ecke Verdener Straße gewohnt hat und mit deren Biografie ich mich beschäftigt habe. Ich habe mich ihnen gewidmet, weil es sehr spannend war, dass dort nicht eine Einzelperson, wie bei den anderen Fällen, Mitglied im Verein war und sich einer Verfolgung ausgesetzt sah. Hier handelte es sich um eine ganze Familie, die im Verein engagiert war – und zwar nicht nur als passive Mitglieder, sondern als Mitglieder im Vorstand oder den einzelnen Abteilungsleitungen. Ebenso waren sie auch an der Weiterentwicklung des Klubs beteiligt, das gilt insbesondere für den ältesten Sohn Arthur Rosenthal, der die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des Vereins sehr wirksam vorangebracht hat und sicherlich auch einen wichtigen Anteil daran hatte, dass die Mitgliederzahl Werders ab 1919/20 stark anstieg, etwa durch Flugblätter, die gezielt an Schulen, aber auch im Stadtgebiet verteilt wurden, oder mit der Initiierung von, das war damals innovativ, Kinowerbung. So schaffte er es mit gezielten Maßnahmen wie einer Sport-Werbewoche oder einer Jubiläumsfeier zum 20-jährigen Vereinsjubiläum, für neue Mitglieder und somit für neue Impulse bei Werder zu sorgen.

Als Initiator unseres gemeinsamen Projektes hat Thomas Hafke das Nachwort verfasst und die gedankliche Brücke vom Überblicksbeitrag zu den einzelnen Biografien geschlagen.

Sehr dankbar waren und sind wir, dass wir mit dem Werder-Präsidenten Dr. Hubertus Hess-Grunewald nicht nur jemanden getroffen haben, der unsere Arbeit ganz wohlwollend begleitet, sondern auch sich bereit erklärt hat, dass Vorwort zu dem Buch beizusteuern.

Da Bücher über Fußballgeschichte selten Bestseller werden, hätte es das Buch nicht geben, wenn wir nicht Druckkostenzuschüsse von verschiedenen Institutionen bekommen hätten, worüber wir alle sehr dankbar sind. Das gilt einmal für Werder Bremen selbst, aber auch für die Werder Bremen-Stiftung, für den Rotary Club Bremen, mit dem wir seit Jahren im engen Austausch stehen. Bei den Rotariern haben wir beispielweise in Karsten D. Wick einen großen Fürsprecher für die Aufarbeitung der Biografien, insbesondere von Alfred Ries, gefunden. Außerdem sind wir sehr dankbar über die Unterstützung der deutsch-israelischen Gesellschaft Bremen, die uns sowohl bei den Druckkosten unterstützt hat, wie auch mit Informationen oder Kontakten. Nicht zuletzt hat sie die Buchpräsentation im Weser-Stadion im März 2022 sehr professionell aufgenommen und auf „You-Tube“ veröffentlicht, sodass auch die Leute, die damals nicht vor Ort im VIP-Bereich der Ostkurve dabei waren, auch an der Buchveröffentlichung teilhaben konnten.

Nach welchen Kriterien habt ihr die Personen in eurem Buch ausgewählt?

Die Auswahl der dargestellten Biografien jüdischer oder vielmehr im Sinne der Nationalsozialisten sog. „halbjüdischer“ Mitglieder ist so entstanden, dass wir insbesondere in Lukas Bracht jemanden hatten, der sehr strukturiert vorgegangen ist und sich in den Vereinsnachrichten (Werder-Magazin der frühen Jahre) alle Zu – und Austritte einmal vorgenommen hat. In den Wiedergutmachungsakten aus dem Staatsarchiv haben wir geschaut, ob wir Jüdinnen und Juden identifizieren konnten. Zusätzlich haben wir uns außerdem den Vorarbeiten angenommen, die es bereits gab: beispielsweise von Hans-Joachim Wallenhorst und Harald Klingebiel, die in verschiedenen Veröffentlichungen und Aufsätzen, aber insbesondere auch in der 90-Jahre-Chronik schon zu mehreren jüdischen Mitgliedern einiges geschrieben haben, besonders zu Alfred Ries oder der Familie Rosenthal. Aber trotzdem gab es noch sehr viel Raum für Neues, etwa zur Biografie eines Theodor Eggert, Leo Weinstein oder Hugo Grünberg. In der Vergangenheit wurde schon eine Menge über Hansi Wolff geschrieben. Seine Biografie wurde meist mit Blick auf seine Leistungen im Verein nach 1945 und weniger unter dem Aspekt des Mitglieds mit einem jüdischen Elternteil und den damit für ihn einhergehenden Nachteilen zwischen 1933 und 1945 gesehen. Uns war daran gelegen, dass wir auch mal die Verfolgungssituationen der einzelnen Menschen darstellen. So war Hans Wolff jemand, der seinen Arbeitsplatz als Handelsvertreter verloren hat, weil er als sog. „Halbjude“ galt.

Wir haben uns über diesen Weg den einzelnen Biografien genähert und sie danach ausgewählt. Zunächst haben wir nach dem Schneeball-Prinzip geschaut, welche Informationen greifbar sind und in deren Umfeld überprüft, welche weiteren Daten noch interessant sein könnten. Mit diesem System konnten wir weitere Kontakte finden, die uns Informationen und Material zu den Personen zur Verfügung stellen konnten. Also mehr als das, was zu den einzelnen Werder-Mitgliedern bereits veröffentlicht war. Den weiteren Spuren sind wir dann systematisch nachgegangen.

Gibt es Personen, die keinen Einzug in das Buch erhalten haben, obwohl sie es sollten?

Das ist eine gute Frage! Ob es noch weitere Biografien verdient hätten, hier aufzutauchen. Das würde aus meiner Sicht in erster Linie für Mitglieder gelten, die im Verein waren und auch ein Verfolgungsschicksal hatten, aber nicht Jüdinnen oder Juden waren. Diese Gruppe könnte man vielleicht noch erweitern. Hier fehlen bisher ein strukturierter Ansatz oder eine Übersicht, um welche Personen es sich insgesamt gehandelt haben könnte und wie groß diese Gruppe war. Aber mindestens, was die Eingrenzung auf jüdische Verfolgungsschicksale angeht, müssten es eigentlich alle gewesen sein. Zumindest nachdem, was uns bislang an Erkenntnissen vorliegt.

Bist du der Meinung, dass ihr Werder im Nationalsozialismus ausreichend abgedeckt habt und gibt es weiter Werderthemen, die noch beleuchtet werden sollten oder müssten?

In Person Lukas Bracht haben wir uns schon die strukturellen und personellen

Veränderungen zwischen der Weimarer Republik und der NS-Zeit angesehen: In die-sem Zusammenhang haben wir uns auch die sogenannten Vereinsführerbiografien vorgenommen. Die Vereinsführer waren die Präsidenten oder vielmehr die Vorsitzenden des Vereins zur Zeit des Nationalsozialismus. Diese Bezeichnung wurde im Sinne des „Führerprinzips“ eingeführt, bei dem politische und gesellschaftliche Macht zentralisiert wurde. Als dieses Prinzip in Kraft trat, wurde die Demokratie im Verein somit ausgehebelt. Wir sind der Meinung, dass wir mit der Untersuchung der einzelnen Entnazifizierungsakten der Vereinsführer unter Einbeziehung der strukturellen Änderung zwischen der Weimarer Republik und der NS-Zeit schon einen wichtigen strukturellen Analysebeitrag geleistet haben.

Das gilt besondere dann auch für die Aufarbeitung der einzelnen Schicksale der jüdischen Vereinsmitglieder. Wo sicherlich noch etwas Luft ist, ist aus meiner persönlichen Sicht insbesondere beim Zusammenspiel zwischen lokalen Institutionen des Nationalsozialismus, z. B. der Parteileitung, zu den Vereinsführern und zum Engagement von weiteren Vereinsmitgliedern innerhalb des NSDAP-Machtapparates. Ich glaube, in dem Bereich kann man noch etwas stärker hinschauen.

Ich möchte aber dazu sagen, dass schon mindestens seit den Recherchen zur 90-Jahre-Chronik von 1989 eine Menge an Nachforschungen betrieben und insbesondere mit diesem Buch auch noch mal intensiviert wurde. Ich glaube, dass das bei Werder in einer Tiefe erfolgt ist, die bei vielen Vereinen so nicht zu finden ist, ganz unabhängig von der Ligazugehörigkeit der Klubs. Aber es ist nie der Fall, dass man ein bestimmtes Thema erschöpfend behandelt hat. Es gibt immer wieder neue Perspektiven, Quellen, Aspekte, die sich auftun, was wir selbst bei diesem Buch gemerkt haben. Und wer sich berufen fühlt oder Lust zu hat, der kann sich dort noch mal Spurensuche begeben. Da ist es auch egal, ob die Interessierten einen wissenschaftlichen oder anderen Hintergrund haben.

Wie beginnst du eine Recherche zu einem Thema, das dir bis dato unbekannt ist und welche Informationsquellen nutzt du dafür?

Wie man eine Recherche beginnt, das ist sehr unterschiedlich, aber ich kann sagen, wie ich vorgehe: Ich suche in verschiedenen Bibliotheken bzw. Online-Katalogen zu dem jeweiligen Thema nach Literatur. Zudem verschaffe ich mir auch online über die Google-Bücher Suche einen Überblick und arbeite mich dann Schritt für Schritt vor. So lese z. B. einen Artikel oder einen Aufsatz über Werder und schaue, welche Literatur genutzt wurde, und versuche, mir diese zu besorgen. Dort gucke ich, welche Themen oder Personen noch angesprochen wurden. Über die neuen Erkenntnisse versuche ich wiederum Informationen zu bekommen, quasi wie ein Schneeball, dem man sich aus einzelnen Schneeflocken sozusagen formt.

Manchmal hat man auch Glück und man findet dann noch Zeitzeugen oder Personen, die schon vorher zum gleichen oder einem verbundenen Thema gearbeitet haben, die man befragen kann. Und so kann man sich immer weiter dem Ziel nähern. Dabei kann es sein, dass man vom Titel her bei bestimmten Aufsätzen und Büchern denkt, dass es jetzt das Richtige ist, was einen bei der Recherche entscheidend weiterbringt. Bei Archivbeständen ist es oft so, dass man zu Personen, Vereinen oder Institutionen Akten bestellt. z. B. im Staatsarchiv Bremen, von denen man sich eine ganze Menge verspricht und anschließend feststellen muss, dass es doch nicht das ist, was man gesucht hat. Zeitweise gibt es sehr abseitige Pfade, zu denen man recherchiert, wo man denkt: „Naja, ich bin mir nicht so sicher, ob ich noch auf dem richtigen Weg bin. Das ist ein Nebenaspekt, da möchte ich eigentlich gar nicht hin.“ Und genau dort bekommt man dann manchmal Informationen, die einem ganz stark weiterhelfen. Also ich möchte sagen: Man darf sich bisweilen nicht entmutigen lassen, wenn man das Gefühl hat, man hat jetzt schon viel Zeit investiert und findet nicht das Richtige. Manchmal hilft einem dann der Zufall oder es lohnt sich ein bisschen links oder rechts zu schauen. So kommt man auch weiter.

Grundsätzlich muss jeder selbst den Weg finden, der für ihn der richtige ist. Aus meiner Sicht es ratsam, bei seiner Recherche zum Beispiel über das Internet, bei der eigenen Stadtbibliothek oder, wenn man in einer etwas größeren Stadt wohnt, vielleicht bei der Unibibliothek zu beginnen. Damit kommt man oft schon einen großen Schritt weiter.

Möchte man z. B. zu Werder Bremen recherchieren, dann sind die Vereinschroniken und Vereinsnachrichten bzw. Werder-Magazine sowie die Satzungen und Protokolle der Mitgliederversammlungen wichtige Fundstellen. Außerdem sind das Staatsarchiv in Bremen oder das Werder-Archiv gute Anlaufstellen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind jeweils sehr hilfsbereit. Daher braucht niemand Scheu vor der Kontaktaufnahme haben. Wichtige Fundquellen sind zusätzlich immer Zeitungen. Diese haben inzwischen oft auch gute Online-Archive, die man durchsuchen kann, ohne dass man sich ortsgebunden durch einzelne Ausgaben quälen muss. Sie haben teilweise einzelne Artikel oder Beiträge verschlagwortet: Das heißt: Wenn man zu bestimmten Themen, in unserem Fall zu Vereinen oder Persönlichkeiten, Artikel sucht, dann haben die einen Überblick und können einem Artikel – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – ausgeben oder zukommen lassen. Also da gibt es schon eine Menge Möglichkeiten, und man ist überrascht, wo man noch Mitstreiter und Unterstützung erfährt.

Wie findet man Aufsätze zum Thema Werder Bremen?

Aufsätze über die Historie von Werder Bremen bekommt man ganz gut in Datenbanken, zum Beispiel im gemeinsamen Verbundkatalog der Universitätsbibliotheken (GVK). Wenn man dort „Werder“ und „Geschichte“ oder „Werder“ und „Nationalsozialismus“ eingibt, findet man schnell einige Beiträge. Diese Datenbank kann ich Euch ohnehin empfehlen, genauso wie das Arcinsys – das Archivinformationssystem für Niedersachsen und Bremen. Dort könnt Ihr beispielsweise beim Staatsarchiv Bremen oder beim Niedersächsischen Landesarchiv bestimmte Schlagworte oder Personen suchen. Ansonsten kann ich Euch zum Auftakt nach wie vor das Schneeball Prinzip ans Herz legen: Also schaut gerne in den Vereinschroniken oder auch jetzt in der Veröffentlichung „Werder im Nationalsozialismus“ hinten im Literaturverzeichnis oder bei den Quellenangaben nach, da findet man eine Menge an weitergehender Literatur und Aufsätzen, die kann man sich heut-zutage relativ leicht online nach Hause bestellen und anschließend sichten kann. Man bekommt dort viele interessante Informationen zur Geschichte des SV Werder.

Was sollte man bei einer wissenschaftlichen Arbeit alles beachten?

Beim wissenschaftlichen Arbeiten sollte man folgende Schritte beachten: Neben der Materialrecherche sollte immer eine Quellenkritik machen, also genauer hinsehen, vom wem stammt eine Information, ist sie oder der Autor seriös. Verfolgte der Autor eine bestimmte Absicht, als er das geschrieben hat. Das ist zum Beispiel insbesondere der Fall bei Zeugenaussagen vor Gericht, bei Protokollen über Vereinstreffen oder Mitgliederversammlungen. Denn in solchen Protokollen ist manchmal das Interessante, was da gerade nicht erwähnt wird. Außerdem finde ich es interessant, sich verschiedene Sichtweisen auf ein Thema anzuschauen, umso ein bisschen zu verstehen, wie die Realität ist oder gewesen sein kann. Denn wenn Menschen Gegenstände oder Sachverhalte beschreiben, sind ihre Sichtweisen immer subjektiv. Und wir probieren gerade, das Tatsächliche herauszubekommen, auch wenn es dieses Objektive gar nicht gibt, sondern sich das Objektive aus abweichenden Sichtweisen zusammensetzt. Insofern sollte man sich einer Thematik von verschiedenen Seiten nähern. Daher ist es wichtig, nach Möglichkeit mit einem „Zwei-Quellenprinzip“ vorzugehen. Das heißt, wir probieren uns ein und denselben Vorgang von mehreren Seiten aus bestätigen zu lassen. Und das nach Möglichkeit auch aus seriösen Quellen. Man kommt häufig an den Punkt, dass irgendjemand irgendjemanden irgendetwas gesagt hat und sich so Informationen auftun, die weitere Autoren einfach übernehmen, ohne zu schauen, wo sie ursprünglich herkommen und ob sie tatsächlich zutreffen. Auf solche Phänomene sind wir gerade bei den Recherchen zu Alfred Ries wiederholt gestoßen. Sie waren der Grund dafür, dass wir zu anderen Ergebnissen bei unserer Bewertung gekommen sind, als andere Personen, die sich schon mit ihm beschäftigt hatten.

Gibt es interessant Informationsquelle zum wissenschaftlichen Arbeiten?

Es gibt schon Bücher zum Thema oder auch Leitfäden vieler Universitäten zum wissenschaftlichen Arbeiten, aus denen man sich bedienen kann, da lohnt es sich auf jedenfall einen Blick reinzuwerfen.

Hast du zum Abschluss Tipps für uns, wie man zum Beispiel an Daten zu den alten Werderpräsidenten herankommen könnte?

Wenn man etwas über die Präsidenten des Werder Bremen erfahren möchte und erstmal auf der Suche nach den Namen ist, dann bietet sich ein Blick in die Vereinschroniken an. Es gibt aber auch verschiedene Galerien über die ehemaligen Präsidenten, nicht nur im Werder-Museum (dem Wuseum), sondern beispielsweise beim Weser-Kurier, in dem alle Präsidenten einmal mit Bild und Amtszeit aufgelistet sind. Zusätzlich gibt es außerdem verschiedene Aufsätze zu dem Thema, in dem man diese Informationen finden kann. Man kann sich es aber auch mühsam selbst alle zusammensuchen, indem man die Vereinsnachrichten im Werderarchiv durchgeht oder sich die Ausgaben in einem Antiquariat beschafft. Nachdem man alle Namen hat, kann man auf dieser Grundlage weiter recherchieren. Beispielsweise kann mit den Namen ins Staatsarchiv gehen oder man kann verschiedene Datenbanken mit ihnen „füttern“. So kann man sich Schritt für Schritt den Biografien der Vereinspräsidenten des SV Werder oder vor 1920 des Fußballvereins (FV) Werder widmen.

Wir bedanken uns bei unserem Gesprächspartner Fabian Ettrich, für dieses ausführliche Interview.

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